Der EGMR sollte im Fall Wa Baile ein klares Signal gegen rassistische Diskriminierung aussenden, erklärt Alicia Giraudel, Juristin bei Amnesty International Schweiz.
«Das Urteil im Fall Wa Baile ist eine Gelegenheit für den Gerichtshof, den rechtlichen Schutz vor ethnischem Profiling und rassistischer Diskriminierung zu verbessern und den Regierungen in ganz Europa Leitlinien zu geben. Das Völkerrecht und die internationalen Standards sind eindeutig. Personenkontrollen, Anhaltungen und Durchsuchungen dürfen nur durchgeführt werden, wenn die Polizei einen begründeten Verdacht auf eine Straftat hat, und Diskriminierung ist verboten. Ethnisches Profiling verstösst sowohl gegen internationale als auch europäische Menschenrechtsabkommen.»
«Der Fall von Wa Baile ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Behörden in Europa haben es wiederholt versäumt, das seit langem bestehende, strukturelle Problem des ethnischen Profiling anzuerkennen und zu bekämpfen.»
«Die Schweiz muss unverzüglich Massnahmen ergreifen, um ihre Gesetze, Richtlinien und die Polizeipraxis in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu ändern und ethnisches Profiling zu bekämpfen. Dieser Fall muss auch ein Weckruf für alle europäischen Staaten sein. Sie müssen ihrer Verpflichtung nachkommen, diskriminierende Polizeikontrollen zu verhindern.»
Mohamed Wa Baile wurde 2015 auf dem Weg zur Arbeit im Hauptbahnhof Zürich von der Polizei einer Personenkontrolle unterzogen. Er weigerte sich, seinen Ausweis vorzuweisen, da die Polizisten ihm keine Gründe für die Kontrolle nannten und er diese als rassistisch empfand.
Er wurde daraufhin wegen Nichtbefolgen einer polizeilichen Anordnung gebüsst. 2018 bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung von Mohamed Wa Baile durch das Zürcher Obergericht. Dagegen erhob er Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.
Amnesty International reichte in diesem Verfahren eine Drittparteienintervention ein, die das Recht auf Nichtdiskriminierung im Rahmen der Strafverfolgung untersuchte und auf die schwerwiegenden Versäumnisse der Schweiz in Bezug auf ihre Verpflichtung, ethnisches Profiling zu verhindern und wirksam zu untersuchen, hinwies.
Lesen Sie das Interview mit Mohamed Wa Baile, erschienen im AMNESTY-Magazin vom August 2020