Das Handbuch für die wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe (bekannt als «Istanbul-Protokoll») legt internationale Standards und Richtlinien zur wirksamen medizinischen und juristischen Untersuchung und Dokumentation von Folteranschuldigungen fest. Das Istanbul-Protokoll wurde von 75 forensischen ÄrztInnen, PsychologInnen, MenschenrechtsbeobachterInnen und JuristInnen aus 40 Organisationen und 15 Ländern mit spezialisiertem Fachwissen verfasst. Seit Kurzem liegt das Protokoll auch auf Deutsch vor.
Neben internationalen juristischen und ethisch-medizinischen Standards zur wirksamen Untersuchung der Folter legt das Protokoll auch Methoden zur Befragung von Folteropfern sowie Methoden zur Erlangung physischer und psychischer Beweise der Folter dar. Einerseits zeigt es darin auf, welche physischen Untersuchungen bei Folter angezeigt sind und worin physische Beweise für einzelne Folterformen, wie Schläge, Elektroschocks oder Vergewaltigung, liegen. Andererseits werden die psychischen Folgeerscheinungen von Folter genau dargelegt. Das Protokoll enthält zudem vier Anhänge, die als praktische Anleitungen zur Untersuchung der Folter dienen.
Seit der Annahme durch die Generalversammlung der Uno im Jahr 1999, ist das Istanbul-Protokoll ein offizielles Uno-Dokument. Die Uno-Menschenrechtskommission (heute Menschenrechtsrat) hat das Protokoll ebenfalls angenommen. Gemäss dem Uno-Sonderberichterstatter für Folter stellt das Istanbul-Protokoll eine umfassende Richtlinie für die internationalen Rechtsstandards und ethischen Verpflichtungen zur Untersuchung von Folter dar. Schliesslich hat die Internationale Vereinigung von Richterinnen und Richtern im Flüchtlingsrecht (International Association of Refugee Law Judges) das Istanbul-Protokoll als erstrebenswerte «best practice» anerkannt.
Auch die EU und die Afrikanische Menschenrechtskommission haben das Protokoll als wirksames Mittel zur Information und Dokumentierung von Folter anerkannt. Trotz dieser internationalen Anerkennung des Istanbul-Protokolls als Standard und Richtlinie zur Untersuchung von Folteranschuldigungen auch im Asyl- und Auslieferungsbereich fehlt bis heute eine entsprechende Anerkennung des Istanbul-Protokolls durch die Schweiz.
Zudem ist das Istanbul-Protokoll unter medizinischen und juristischen Fachpersonen und Behörden in der Schweiz bisher wenig bekannt. Sowohl auf medizinischer als auch auf juristischer Seite fehlt es an Fachwissen hierzu. Zahlreiche Folteropfer ersuchen die Schweiz um Schutz vor einer Wegweisung oder Auslieferung in den Staat, wo ihnen Folter oder Misshandlung droht. Das Handbuch zur Untersuchung solcher Folteranschuldigungen wäre auch hier ein wertvolles Mittel für eine professionelle Beurteilung solcher Fälle.