Am 5. Juli stürmten türkische Sicherheitskräfte einen Trainingsworkshop zum Thema Menschenrechte und nahmen zehn bekannte AktivistInnen fest, darunter die Direktorin der türkischen Ländersektion von Amnesty International sowie zwei Trainer aus Deutschland und Schweden. Der Grossteil der Gruppe – auch bekannt als die Istanbul 10 – sitzt seither in einem türkischen Hochsicherheitsgefängnis hinter Gittern.
Nach rund 100 Tagen Haft reichte die Staatsanwaltschaft die Anklage. Sie verlangt für die AktivistInnen wegen mutmasslicher Terror-Unterstützung bis zu 15 Jahre Haft. Die Anschuldigungen und Gründe für ihre fortgesetzte Inhaftierung könnten absurder nicht sein.
Die türkische Staatsanwaltschaft versucht das Treffen als eine undurchsichtige Verabredung von Verschwörern darzustellen, die planten, «Chaos in der Gesellschaft» anzurichten, was jedoch absolut nicht der Wahrheit entspricht:
Für die Besprechung terroristischer Pläne hätte man wohl sinnvollerweise einen vertrauenswürdigen, bereits bekannten Dolmetscher herangezogen. Doch...
Es war einer dieser Dolmetscher, der der Polizei einen Tipp gab und ihr berichtete: «Einige der Gespräche, die ich höre, drehen sich um Handys, die an der Polizei vorbeigeschmuggelt werden sollen und wie Informationen auf diesen Geräten gespeichert werden und verschlüsselt werden. Sie waren sehr besorgt und stellten Fragen dazu, sowohl die die ausländischen als auch die türkischsprachigen Teilnehmenden.»
Wenn die Razzia auf so einer Aussage gründete, dann handelte es sich mit Sicherheit nicht um eine sorgfältig geplante Polizeioperation, um eine Verschwörung aufzudecken.
Als Einstiegsaufgabe in den Workshop hatte der Trainer Peter Steudtner die TeilnehmerInnen gebeten, etwas zu zeichnen, das bei ihnen Stress auslöst. Seyhmus Özbekli, der an Klaustrophobie leidet, zeichnete einen Lift; Ilknur Üstün, eine begeisterte Squashspielerin zeichnete Bälle, die auf sie zufliegen. Özlem Dalkıran malte eine Landkarte der Türkei, in welcher sie den Krieg im Südosten symbolisch einzeichnete, dazu Gefangene in Istanbul, Flüchtlinge aus dem Krieg im Irak und Syrien, sowie Wasserkraftwerke im Schwarzen Meer.
Eine weitere Landkarte, die auf Ali Gharavis Computer gefunden wurde, wird ebenfalls als belastendes Beweismittel eingesetzt – obwohl es sich dabei schlicht und einfach um eine wissenschaftliche Darstellung der Sprachgruppen in der Türkei, im Irak und Iran handelt. Die Karte ist einfach online verfügbar und dient Bildungszwecken.
Niemand dieser MenschenrechtsaktivistInnen hat zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung aufgerufen.
Der schwedische Trainer Ali Gharavi stellte sich anderen Menschen häufig mit den folgenden Worten vor: «Ich heisse Ali, wie der Boxer Muhammad Ali, aber ohne die Gewalt» – es wäre wohl schwer, eine gewaltlosere Gruppe von Menschen zu finden. Peter Steudtner setzt sich schon sein ganzes Leben lang für friedliche und gewaltfreie Konfliktlösung ein, indem er den Menschen das «Do no harm»-Prinzip näherbringt. In einem Brief, den er aus dem Gefängnis schickte, schrieb er: «Es ist mir wichtig, dass die politische und rechtliche Verantwortung für unsere Situation nicht auf die Türkei als Land oder auf ihre Bevölkerung geschoben wird... Gehen wir den gewaltfreien Weg der Menschenrechte gemeinsam!»
Idil Eser hat für viele zivilgesellschaftliche Organisationen gearbeitet, einschliesslich der Helsinki Citizens’ Assembly und Ärzte ohne Grenzen. Als 2011 Erdbeben die Osttürkei erschüttert hatten, flog sie nach Van und bot ihre Hilfe an.
Günal Kursun ist Wissenschaftler und Anwalt. Im Gefängnis schrieb er zehn Geschichten für seinen 2-jährigen Sohn.