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Tunesien - Schweiz

Schweizer Doppelbürger in Haft, weil er sich für Geflüchtete einsetzte

Mustapha Djemali, ehemaliges Kadermitglied des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und Direktor der Organisation «Conseil Tunisien pour les Refugies» (CTR), wurde vor einem Jahr in Tunesien festgenommen, weil er sich für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt hatte. Seine Inhaftierung ist Teil einer Repressionswelle der Regierung gegen die Zivilgesellschaft. Amnesty International fordert Mustapha Djemalis sofortige Freilassung.

Details

Der schweizerisch-tunesische Menschenrechtsverteidiger Mustapha Djemali sitzt seit über einem Jahr in Haft, weil er sich für die Rechte von Geflüchteten in Tunesien stark gemacht hat. Er ist derzeit in einer Massenzelle mit rund 30 Mitinsassen untergebracht, Hitze und fehlende Medikamente setzen dem 81-Jährigen massiv zu. Amnesty International setzt sich gemeinsam mit Mustapha Djemalis Familie für seine Freilassung ein.

«Humanitäre Hilfe für Migrant*innen darf nicht kriminalisiert werden. Wir fordern daher auch die Schweizer Regierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Mustapha Djemali endlich freigelassen wird.» Natalie Wenger, Afrika-Verantwortliche bei Amnesty International Schweiz

«Mustapha Djemali sitzt seit über einem Jahr unrechtmässig in Haft, nur weil er sich für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt hat», sagt Natalie Wenger, Afrika-Verantwortliche bei Amnesty International Schweiz. «Die tunesische Regierung muss alle Anklagen gegen Mustapha Djemali fallen lassen und ihn unverzüglich freilassen. Sein Einsatz für die Rechte von Migrant*innen darf auf keinen Fall bestraft werden. Humanitäre Hilfe für Migrant*innen darf nicht kriminalisiert werden. Wir fordern daher auch die Schweizer Regierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Mustapha Djemali endlich freigelassen wird.»

Mustapha Djemali hat sich sein Leben lang für die Rechte von Menschen auf der Flucht eingesetzt, so auch in seiner langjährigen Arbeit für das UNHCR, wo er mehrere Führungspositionen innehatte, und später als Direktor des CTR, den er 2016 in Tunesien gründete. Seine Organisation hilft unter anderem bei der Vorregistrierung von Asylsuchenden und der Bereitstellung grundlegender Hilfsleistungen und arbeitet eng mit dem Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zusammen.

Am 2. Mai 2024 veröffentlichte die Organisation im Rahmen ihrer regulären Aktivitäten ein Inserat, in dem Hotels zur Unterbringung von Asylbewerber*innen und Schutzsuchenden in prekären Situationen gesucht wurde. Dies führte mitunter dazu, dass Mustapha Djemali verhaftet wurde. Denn das Inserat wurde breit in den tunesischen Medien und sozialen Netzwerken geteilt: In den Beiträgen wurde behauptet, dass die Zivilgesellschaft – allen voran der CTR – die Ansiedlung von «illegalen Migrant*innen» fördere. 

Nur einen Tag später, am 3. Mai 2024, führte die Polizei eine Razzia im Büro des CTR durch. Mustapha Djemali wurde im Beisein seines Sohnes verhaftet. Am darauffolgenden Tag, am 4. Mai 2024, wurde auch Abderrazek Krimi, ein Projektmanager beim CTR, festgenommen. Auch für seine Freilassung setzt Amnesty International sich ein.

Am 7. Mai ordnete ein Richter in Tunis in erster Instanz eine sechsmonatige Untersuchungshaft gegen die beiden Männer an, weil sie «ein Bündnis oder eine Organisation» gebildet hätten, um «die heimliche Einreise von Personen in das tunesische Hoheitsgebiet zu planen, zu erleichtern, zu unterstützen, zu vermitteln oder zu organisieren» und «ihnen Unterschlupf zu gewähren».

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Der Richter verlängerte die Haft im Oktober 2024 und im Februar 2025 um jeweils vier Monate. Nach tunesischem Recht kann sie nicht ein drittes Mal verlängert werden. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Mustapha Djemali und sein Kollege angeklagt werden, nachdem die Frist abgelaufen ist. 

«Wir befürchten, dass Mustapha Djemali aufgrund von Verzögerungen im Prozess etwa durch behördliche Ferienabwesenheit den Sommer über im Gefängnis bleiben muss – was seinen eh schon angeschlagenen Gesundheitszustand weiter verschlechtern könnte», sagt Natalie Wenger.

«Körperlich geht es unserem Vater sehr schlecht», sagt Fadhel Djemali, Mustapha Djemalis Sohn. «Er lebt in einer überfüllten Zelle, schläft auf einer extrem dünnen Matratze und leidet unter anhaltenden Rückenschmerzen. Angesichts des nahenden Sommers machen wir uns grosse Sorgen, denn die Temperaturen im Gefängnis können auf fast 50 °C ansteigen. Die Bedingungen sind für jemanden in seinem Alter und mit seinem Gesundheitszustand völlig ungeeignet.»

Seit September 2024 haben die Gefängnisbehörden ihm seine Medikamente trotz mehrfacher Aufforderung nicht gegeben und seiner Familie erst vor einigen Tagen erlaubt, ihm einen kleinen Teil der Medikamente zu bringen.

Mustapha Djemali leidet an Riesenzellarteriitis, auch bekannt als Morbus Horton, einer Gefässentzündung, die vor allem bei älteren Menschen die Schläfenarterien befällt. Ohne Medikamente erhöhen sich die gesundheitlichen Risiken der Krankheit enorm. Seit September 2024 haben die Gefängnisbehörden ihm seine Medikamente trotz mehrfacher Aufforderung nicht gegeben und seiner Familie erst vor einigen Tagen erlaubt, ihm einen kleinen Teil der Medikamente zu bringen. Die tunesischen Behörden haben seiner Familie auch nicht erlaubt, seine zerbrochene Lesebrille zu reparieren.

Auch für Mustaphas Familie ist die Situation enorm belastend. Sein Sohn Fadhel Djemali musste nach seinem Studienabschluss im November 2024 die Jobsuche auf Eis legen, weil er mehrfach nach Tunis reisen musste, um seinen Vater zu unterstützen. Er sagte Amnesty International: «Die Verhaftung unseres Vaters hat das Leben von mir und meinen Geschwistern auf den Kopf gestellt. Eigentlich wohnen meine beiden Schwestern und ich in Genf, doch seit der Festnahme unseres Vaters wechseln wir uns mit den Besuchen in Tunesien ab, damit immer jemand präsent ist für Besuche, für rechtliche Besprechungen und um meinem Vater zweimal pro Woche selbst gekochte Mahlzeiten zu liefern. Dass wir unseren Vater nur einmal in der Woche für 10 Minuten sehen dürfen, getrennt durch eine Glaswand und über ein Telefon, bricht uns das Herz. Wir vermissen es, mit unserem Vater zusammenzusitzen, seine Hand zu halten, frei zu reden. Wir vermissen die Ruhe unseres Vaters, seine überlegte Diplomatie und seine Fähigkeit, auch in den schwierigsten Momenten gelassen zu bleiben.»

Zunehmende Repression

Das Vorgehen der Regierung gegen Mustapha Djemali und seine Organisation CTR ist Teil einer Repressionswelle der tunesischen Regierung unter Präsident Kais Saied gegen die Zivilgesellschaft und einer massiven Verschärfung der Asylpolitik. Mehrere Nichtregierungsorganisationen wurden seit Februar 2023 geschlossen, lebenswichtige Dienste für Migrant*innen wurden ausgesetzt und der Zugang zu Asylgesuchen erschwert. 

Das Vorgehen der Regierung ist Teil einer Repressionswelle der tunesischen Regierung unter Präsident Kais Saied gegen die Zivilgesellschaft und einer massiven Verschärfung der Asylpolitik.

Am 19. April 2025 verurteilte ein erstinstanzliches Gericht in Tunis zudem 37 Personen nach einem Scheinprozess zu langen Haftstrafen zwischen vier und 74 Jahren. Unter den Verurteilten befinden sich bekannte Oppositionelle, Rechtsanwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen. Die Angeklagten wurden in unterschiedlichem Ausmass der «Verschwörung gegen die Staatssicherheit» sowie der «Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung» für schuldig befunden.

Trotz dieser Ereignisse hat die EU den nordafrikanischen Staat im April als sicheres Herkunftsland deklariert, was den europäischen Behörden erlaubt, Asylanträge im Schnellverfahren abzulehnen und abgelehnte Asylbewerber*innen umgehend in ihre Heimat abzuschieben. Diese neue Haltung der EU wurde nur wenige Tage nach der Ankündigung aus Brüssel widerlegt: Sicherheitskräfte zerstörten in den vergangenen Wochen mehrere informelle Zeltstädte rund um die tunesische Stadt Sfax, in denen seit zwei Jahren mehr als 30'000 Migrant*innen leben. Die mehrheitlich aus Westafrika und dem Sudan stammenden Menschen waren zuvor aus ihren angemieteten Wohnungen vertrieben worden und warteten auf die Überfahrt nach Italien.

«Die EU hat Tunesien trotz wachsender Beweise für schwere Menschenrechtsverletzungen fälschlicherweise als sicherer Drittstaat eingestuft. Sie signalisiert damit, dass sie die Repression des tunesischen Präsidenten und der Regierung akzeptiert», sagt Natalie Wenger. «Die EU – und auch die Schweiz – müssen endlich ihre Lehren aus Abkommen mit Staaten ziehen, die routinemässig die Menschenrechte missachten. Sie müssen sich für sichere Migrationsrouten, eine menschenwürdige Asylpolitik und den Schutz von Personen und Organisationen einsetzen, die sich für das Recht auf Asyl engagieren. Sonst machen sie sich mitschuldig an dem Leid, das Geflüchtete und Migrant*innen erfahren.»

Medienmitteilung 04. Juni 2025, Bern – Medienkontakt