Angélica Choc: Das Land ist unsere Lebensgrundlage. Die Firmen, die auf unserem Land Ressourcen abbauen, haben uns nie gefragt, ob wir dem zustimmen. Ausserdem kommt es im Zuge der Abbautätigkeiten immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Die Sicherheitskräfte der Firma CompañíaGuatemalteca de Níquel (CGN) führten mit Unterstützung des Militärs erzwungene Umsiedlungen durch, unsere Häuser wurden abgebrannt. Mein Mann Adolfo, der ebenfalls ein Leader unserer Gemeinschaft war, wurde am 27. September 2009 erschossen, weil er sich gegen den Ressourcenabbau eingesetzt hatte.
Unser Dorf La Unión liegt direkt neben dem Firmenkomplex der CGN. An jenem Sonntag fanden beim Zaun Proteste gegen Umsiedlungsaktionen der Firma statt. Da wir Schüsse hörten, ging mein Mann hin, um die dortigen Familien in Sicherheit zu bringen. Auf der anderen Seite des Zauns waren die Sicherheitsleute, die Adolfo von verschiedenen Verhandlungen her kannten. Laut Zeugen holten sie meinen Mann durch eine Öffnung im Zaun zu sich auf das Firmengelände. Unser Sohn José Manuel sah, wie die Sicherheitskräfte mit der Machete auf ihn einschlugen, ihm aus nächster Nähe in den Kopf schossen und mit ihm in der firmeneigenen Krankenstation verschwanden. Kurz darauf starb Adolfo an seinen Verletzungen.
Ich bin ja leider nicht die Einzige, die einen solchen Verlust zu beklagen hat. Aber die meisten anderen betroffenen Frauen wollten nicht über ihre Erlebnisse sprechen, da sie von Sicherheitskräften der Firma bedroht wurden. Ich bat die Frauen trotzdem, die Kraft aufzubringen, sich für die Verteidigung ihres Landes einzusetzen. Gemeinsam sammelten wir Informationen zu allen Übergriffen der Firma. Da wurde mir bewusst, dass ich als indigene Frau unsere Rechte verteidigen kann, und klagte das kanadische Mutterunternehmen der CGN an. Durch meine Klage fühlte sich die Gemeinschaft gestärkt und ermutigt. Trotz unseres Leids konnten wir Kraft und Energie bewahren.
Ich leide unter dem Tod meines Mannes. Ich bin krank geworden deswegen. Gleichzeitig fühle ich, dass ich die Kraft habe weiterzumachen. Ich versuche stark zu sein – für meine Kinder. Wenn ich mit ihnen zusammen bin, weine ich nicht. Die Jüngsten waren fünf und sechs Jahre alt, als ihr Vater starb. Alle litten sehr unter dem Verlust meines Mannes und trauern bis heute um ihn. Aber wir sind jetzt ruhiger. Und ich kämpfe weiter.
Ich bin mir bewusst, dass es ein sehr langer Gerichtsprozess werden wird. Er dauert nun schon sechs Jahre. Aber das Wichtigste für uns als indigene Gemeinschaften ist, dass der Prozess in Guatemala und darüber hinaus Aufsehen erregt. Für uns ist es ein grosser Erfolg, dass ich als indigene Frau die Klage in Kanada einreichen konnte.
Trotz unseres Leids konnten wir Kraft und Energie bewahren.
Seit April 2015 finden alle zehn Tage öffentliche Anhörungen statt. Der Prozess ist schmerzhaft, aber ich bin stolz, dabei zu sein. Ich stehe allein da, vor all diesen Leuten, die mich hasserfüllt anschauen, mich einschüchtern und bedrohen. Die Seite des Angeklagten Mynor Padilla, des damaligen Sicherheitschefs der Firma, verfügt über viel Geld und Unterstützung. Für mich hingegen ist es schwierig, nur schon die Reise zum Gericht für mich und meine Begleiterinnen zu bezahlen.
Was ich in den letzten Jahren erlebt habe, hat mich emotional sehr mitgenommen. Aber zum Glück habe ich zwei Hände zum Arbeiten. Mir gehören ein paar Tiere, die ich manchmal verkaufen kann. Wenn wir kein Essen haben, gehen wir im See fischen. So ist das Leben der indigenen Gemeinschaften. Und deswegen verteidigen wir unser Land: Wir wollen nicht, dass es kontaminiert wird. Ich muss auch hart arbeiten, um die Studiengebühren für meine Kinder aufzubringen. Eine Wiedergutmachung oder eine Witwenrente erhalte ich nicht. Aber bis jetzt bin ich mit meinen Kindern über die Runden gekommen. Unsere Gemeinschaft ist sehr solidarisch.
Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen von den Menschenrechtsverletzungen, die wir erleiden, Kenntnis erhalten. Es gibt so viele Familien, die gelitten haben. Einige von ihnen haben sich bis heute nicht von den Übergriffen erholt. Das ist unsere Realität. Niemand möchte das erleben müssen.
Annika Salmi ist ehrenamtliche Länderexpertin für Zentralamerika bei Amnesty International.