Für die Dezemberausgabe des AMNESTY-Magazin der Menschenrechte zum Thema «Versöhnung und Zusammenarbeit in Konflikten» traten wir in Kontakt mit dem israelischen Regisseur und Filmemacher Maayan Schwartz. Sein Dokumentarilm «Children of Peace» thematisiert die grossen Herausforderungen, die das Zusammenleben von Israelis und Palästinenser*innen an die Dorfgemeinschaft stellen.
Den Artikel zum Film können Sie hier lesen.
Wir hatten danach Gelegenheit, Maayan Schwartz bei Amnesty Schweiz persönlich zu empfangen und einige weitere Fragen zum Film und zur Situation in Neve Shalom – Wahat al-Salam zu stellen:
Alle Bewohner*innen in Neve Shalom / Wahat al-Salam sind schockiert, alle haben Angst, weil niemand weiss, was als nächstes passiert. Auf den ersten Blick scheint der Alltag mehr oder weniger derselbe geblieben zu sein, die Kinder gehen zur Schule, spielen draussen… aber natürlich hören wir immer wieder die Sirenen, haben Angst. Für Aussenstehende ist es schon eine bizarre Situation, wenn wir Israeli und Palästinenser*innen gemeinsam in die Schutzräume rennen. Aber das ist eben unsere ganz besondere Realität in Neve Shalom. Als Gemeinschaft leben wir weiter wie bisher, aber natürlich haben die Ereignisse für die einzelnen unter uns auch sehr unterschiedliche Bedeutungen.
Für mich als ‘naives’ Kind war es zunächst völlig normal, mit palästinensischen Kindern aufzuwachsen: Als Kind wusste ich von den Unterschieden unter uns, aber das spielte keine Rolle. Das änderte sich, als wir in verschiedene Schulen ausserhalb des Dorfes wechseln mussten. Wir waren nun häufig voneinander getrennt – nicht nur geographisch, wir hatten auch einen unterschiedlichen Alltag.
Mit der Highschool wuchs bei mir das Gefühl einer Entfremdung vom Dorf. Ich ging jedoch davon aus, dass ich nach dem Schulabschluss wieder wie zuvor mit meinen Freund*innen im Dorf zusammen sein würde. Doch dann kam der Militärdienst … Ein schwieriges Thema im Dorf und somit auch im Film.
Während des Militärdiensts fühlte ich mich sehr isoliert und zerrissen. Dieses Gefühl hielt auch in den Jahren danach an, als ich eine Zeit lang im Ausland lebte. Ich begann mir zunehmend Fragen über mein Aufwachsen, über mich selbst zu stellen. Der Film war eine Möglichkeit, sich der Frage zu stellen, wo ich hingehöre.
Ich hatte natürlich die Absicht, einen Film zu drehen, der ein möglichst breites Publikum anspricht. Es war ein humanistisches Projekt – wenn ich das so sagen darf – das aufzeigt, wie wir als Individuen von den uns umgebenden Narrativen und persönlichen Geschichten geprägt werden. Von linker Seite gab es einige Kritik, dass ich die Besatzung zu wenig thematisiert hätte. Aber das war nie mein Ziel.
Es ist nicht so, dass ich die Wichtigkeit von Filmen, die den Konflikt in Palästina-Israel thematisieren, nicht für wichtig halte. Im Gegenteil. Mein Ziel war aber, einen Film zu schaffen, den ich hier in Israel zeigen kann und der vielleicht einen kleinen Wandel im Denken der Zuschauer*innen, die nicht meiner Meinung sind, bewirken kann. Mag dieser noch so klein sein.
Mir geht es im Film vor allem um die Menschen und welchen Weg sie zurücklegen. Es gibt nicht nur eine richtige Haltung. Es gab und gibt mehrere Wahrheiten, nicht nur schwarz oder weiss. Das wollte ich mit dem Film zeigen. Und dass jede kleine Veränderung hin zu mehr Verständnis füreinander ein großer Schritt im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt ist.
Ich kann mit Gewissheit sagen, dass die Menschen, die im Film vorkommen, heute noch immer dieselbe Haltung haben. Sie glauben weiterhin an das, was sie im Film sagten.
Der Film zeigt vor allem meinen persönlichen Weg, und der hat sich ja durch die aktuellen Ereignisse nicht verändert.
Er kann nach wie vor zeigen, wie schwierig das Aufwachsen in diesem Kontext ist, aber dass es Werte und Lehrstücke gibt, die grundlegend sind, um in diesem Umfeld gemeinsam leben zu können.
Ich hoffe, ich bereite meinen Sohn – er ist jetzt 5 – gut darauf vor. Es ist wichtig, über diese Fragen mit den Kindern zu sprechen. Meine Generation war sich damals des Konflikts, der um uns herum tobt, weniger bewusst. Heute sprechen wir viel mehr über alles – auch mit den Kleinen. Sie stellen ja sowieso Fragen.
Ich würde auch sagen, dass wir heutzutage in Neve Shalom weniger naive Vorstellungen davon haben, was das Zusammenleben erfordert. Ich finde daher auch das Wort der «Blase», das viele für unsere Gemeinschaft verwenden, komplett falsch. Wir sind in keiner «Bubble», denn das würde ja bedeuten, dass wir in einem sicheren, isolierten Raum sind. Aber das Gegenteil ist der Fall. Hier im Dorf müssen wir uns tagtäglich mit dem Konflikt auseinandersetzen. In rein arabischen oder rein jüdischen Gemeinschaften müssen sie sich nicht mit der «anderen Seite» auseinandersetzen. Meinungen werden nicht ständig hinterfragt, es gibt keine unterschiedlichen Narrative. Bei uns schon.
Die «Bubbles» gibt es also vielmehr ausserhalb Neve Shaloms – insbesondere natürlich in den Sozialen Medien, wo Gleichgesinnte über den Konflikt sprechen, ohne die andere Seite wirklich zu hören.
Mit einigen Freund*innen war ich auch während meiner Abwesenheit in Kontakt, aber wir sprachen nie über diese Themen. Von einigen Personen, die im Film sprechen, wusste ich bis zum Dreh nicht, was ihre aktuelle Meinung ist. Es war also offen, was ich hören würde. Der Film hat mir geholfen, sie besser zu verstehen. Und die Protagonist*innen im Film lernten auch viel über die anderen und sind mir heute dankbar dafür, dass ich den Film machte. Meine Beziehungen in der Gemeinschaft haben sich wieder vertieft. Auch weil wir wieder einen Alltag teilen, gemeinsam Kinder aufziehen.
Ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, ob momentan Leute bei uns Militärdienst leisten. Bestimmt finden einige, dass es jetzt mehr denn je nötig ist, die Armee zu unterstützen, während andere finden, gerade jetzt sei nicht die Zeit dafür. Es ist für uns momentan äusserst schwierig, sich dazu zu äussern, auch für mich.
Doch macht dieses schwierige Thema ein Prinzip unserer Gemeinschaft erneut sehr deutlich: Es ist ok, unterschiedliche Meinungen zu haben. Wir wollen und können trotz dieser Differenzen weiterhin zusammenleben, sie werden uns nicht auseinanderbringen.
Das heisst also: Es gibt Gräben zwischen uns, die Realität ist momentan so chaotisch, so schwer auszuhalten. Aber die Menschen in Neve Shalom sprechend miteinander darüber, sie teilen ihre Gefühle miteinander, auch wenn diese ganz verschieden sind.
Wir können durch Gespräche und viel gegenseitiges Verständnis versuchen, die Gräben zu schliessen. Das braucht Zeit, vielleicht gelingt es sogar nie. Aber wir müssen es weiterhin versuchen. Gerade jetzt.