Es ist ungefähr 6 Uhr morgens an diesem Mittwoch, dem 12. Februar, als mir ein Polizist nach mehr als einer Stunde Wartezeit am Schalter der Passkontrolle am Flughafen von Tiflis ein schlecht bedrucktes Blatt in die Hand drückt, um mir mein Einreiseverbot mitzuteilen. Als Begründung hat er das Kästchen «andere Gründe» angekreuzt. Ich wurde also nicht wegen eines Verbrechens, einer unbezahlten Geldstrafe, ungültiger Dokumente oder der Gefahr einer Störung der öffentlichen Ordnung verbannt.
Welcher meiner Artikel hat wohl missfallen?
Seit 2010 und meinem ersten Besuch in Georgien wurden meine Pässe immer wieder mit Stempeln bedeckt. Ich hatte nie irgendwelche Probleme mit den Grenzbeamt*innen oder der Polizei gehabt. Für mich ist klar: Ich werde wegen meiner journalistischen Arbeit nicht ins Land gelassen. Welcher meiner Artikel hat wohl missfallen? Oder sind es meine Posts in den sozialen Netzwerken, die vor den Repressionen der Behörden in Tiflis warnten? Was könnte dieser mysteriöse «andere Grund» sein?
Offiziell erfahre ich nicht viel mehr. Über meine Kontakte höre ich jedoch, dass mein Name auf der «roten Liste» des Inlandsgeheimdienstes steht, da ich eine Bedrohung für die Regierung darstellen würde.
Georgien, einst ein Vorzeigeland für den gelungenen Übergang zu einer Demokratie, ist in den letzten Jahren in die Gruppe der «illiberalen Demokratien » abgedriftet. Es fährt nun mit Schwung auf der Autobahn der mafiösen Autokratie. Allerdings mit einer Besonderheit: Der fragliche Autokrat hat kein offizielles politisches Amt inne. Es handelt sich lediglich um den reichsten Mann des Landes, den Oligarchen Bidzina Iwanischwili.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die georgische Regierung unter der Partei mit dem Namen «Georgischer Traum» nach und nach in einer parallelen Realität eingeschlossen, die von prorussischen Verschwörungstheorien geprägt ist.
Georgische Journalist*innen zahlen bereits einen hohen Preis für diesen Irrweg. Nach den Wahlen am 26. Oktober 2024 und der Kehrtwende in Bezug auf den EU-Beitrittsprozess am 28. November wurden lokale Reporter*innen gezielt von der Polizei ins Visier genommen. Parallel dazu verdoppelte die Regierung ihre gesetzgeberischen Bemühungen, um die letzten unabhängigen Medien finanziell auszutrocknen.
Russische oder belarussische Oppositionsjournalist* innen waren bereits in den vergangenen Jahren willkürlich ausgewiesen worden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dies auch westliche Medienschaffende traf.
Das Ziel besteht zweifellos darin, mit geringem Aufwand ein Gefühl der Angst und der allgemeinen Unsicherheit zu schüren.
Im Gegensatz zum Putin-Regime setzt der «Georgische Traum» jedoch nicht auf medienwirksame Aktionen. Die Partei greift vorzugsweise unabhängige Journalist*innen an, die keine Redaktion haben, die sie unterstützt, oder die nicht bekannt genug sind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Besonders stark sind ausländische Medienschaffende betroffen, die ihre Solidarität mit der Bevölkerung bekundet oder sich kritisch über die Regierung geäussert haben. Diese relativ unauffällige Repression – deren Kernmerkmal Willkür und Straffreiheit sind – trifft nacheinander verschiedene soziale und berufliche Gruppen. Das Ziel besteht zweifellos darin, mit geringem Aufwand ein Gefühl der Angst und der allgemeinen Unsicherheit zu schüren.
Alle wissen, dass keine Gegenmacht die illegalen Entscheidungen der Polizei, die von einer gefügigen Justiz bestätigt wurden, rückgängig machen wird. Diese Strategie der systematischen Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber sie vertieft sich ohne physische Gewalt, ohne Tote und damit ohne allzu grosse diplomatische Turbulenzen. Sie wirkt wie ein Gift, das die letzten Überreste der georgischen Demokratie langsam, aber sicher zerstört.