Mehrstimmiger Gesang klingt durch das lichtdurchflutete Connie Norman Transgender Empowerment Center. Es ist Sonntagnachmittag. Probenzeit für den Trans Choir von Los Angeles. In der Pause erzählt die fast 80 Jahre alte Chor- Mitbegründerin Kathryn Davis von einer frustrierenden Erfahrung bei der Erneuerung ihres Reisepasses. Vor knapp zehn Jahren unterzog sich Kathryn einer geschlechtsangleichenden Operation und änderte ihren Ausweis entsprechend. Anfang des Jahres lief ihr Pass ab. Im neuen Ausweis haben die Behörden ihr Geschlecht von weiblich zu männlich geändert. Sie werde dem Pass eine Notiz beilegen, sagt sie. «Darin habe ich geschrieben, dass mein Geschlecht weiblich ist und dass das M im Pass mein Geburtsgeschlecht war. Ich schreibe auch, dass ich dankbar bin, dass mein Name – Kathryn – und ein aktuelles Foto von mir benutzt wurde und damit belegt ist, dass ich eine stolze trans Frau bin.»
Sorgen macht sich Kathryn vor allem um die trans Menschen, die mitten in ihren Hormonbehandlungen stecken, so wie Chormitglied Corinne Burch. Corinne hat seit der Testosteron- Behandlung mehrere Stimmlagen durchlaufen, singt derzeit Bariton. Corinne erzählt von Freund*innen, die aus US-Südstaaten nach Kalifornien ziehen wollen. «Sie suchen einen Ort, wo sie sicher sein können, dass die Hormonversorgung nicht unterbrochen wird. Ich bin hier zum Glück gut aufgehoben.» Kalifornien hat sich 2022 zum Zufluchtsort für trans Menschen erklärt und gehört zu den 15 US-Bundesstaaten, die von Bürgerrechtsorganisationen als LGBTI*-freundlich eingestuft werden.
Donald Trump versprach in seiner Antrittsrede, er werde nur zwei Geschlechter anerkennen.
Doch andere US-Bundesstaaten und die Verwaltung in Washington haben seit Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten mehr als 570 Anti-LGBTI*-Gesetzesentwürfe vorgelegt, wie eine Studie der amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung ACLU ergab. Donald Trump versprach in seiner Antrittsrede, er werde nur zwei Geschlechter anerkennen − männlich und weiblich − , und unterschrieb bereits am ersten Tag seiner Präsidentschaft eine entsprechende Verfügung. Die US-Regierung schränkt seither den Zugang zu Ausweisdokumenten für trans Personen ein und droht Krankenhäusern mit der Streichung von Bundesmitteln, wenn sie geschlechtsangleichende Behandlungen durchführen. Sie hat Informationen für und über trans Menschen auf Websites der Regierung gelöscht, will trans Personen vom Militär und Frauensport ausschliessen und verpflichtet Gefängnisse, trans Frauen mit männlichen Häftlingen unterzubringen – wo ihnen schwere sexualisierte Gewalt droht – und geschlechtsangleichende Behandlungen einzustellen.
Das alles löse in der LGBTI*-Gemeinschaft Unsicherheit aus, sagt Rechtsexpertin Elana Redfield vom UCLA-Williams-Institut für Geschlechtsidentität. «Wir wissen nicht, wie weit die Regierung gehen wird, um das Leben von trans Personen in den USA zu erschweren. » Umfragen ihres Instituts haben ergeben, dass einige trans Menschen beabsichtigen, die USA zu verlassen. «Sie recherchieren, wie und wo sie geschlechtsangleichende Versorgung erhalten können, falls die Stelle, die dies momentan anbietet, ausfällt. Wissenschaftler*innen und Angestellte des Bundes haben Angst, dass die Regierung sie wegen ihrer Identität ins Visier nimmt.»
Bundesstaaten, Städte und Gemeinden haben sich zusammengetan, um Anordnungen zu stoppen.
Doch trans Menschen haben auch ihre Verbündeten. So haben die ACLU und andere Organisationen, die sich für LGBTI*-Rechte einsetzen, mehrere Klagen gegen transfeindliche Bestrebungen der Trump-Regierung eingereicht. Bundesstaaten, Städte und Gemeinden haben sich zusammengetan, um Anordnungen zu stoppen, und auch Richter*innen begegnen den Verordnungen mit Skepsis und in einigen Fällen mit offener Verachtung.
Insgesamt gibt es bisher zehn Klagen gegen die Anti- Trans-Politik der Regierung. Vier davon führten zu einstweiligen Verfügungen gegen die Regulierungen. Washington, Oregon, Minnesota und Colorado klagten zum Beispiel erfolgreich gegen den Versuch, die Bundesmittel für Krankenhäuser einzufrieren, die geschlechtsspezifische Behandlungen für Minderjährige anbieten. Ein Bundesrichter stoppte die Anordnung, trans Frauen in Männergefängnissen unterzubringen. Der Ausschluss von trans Personen im Militär wurde durch eine Bundesrichterin zwar vorübergehend gestoppt, der Supreme Court hat aber Anfang Mai festgehalten, dass dieser Ausschluss nicht verfassungswidrig sei.
Donald Trumps Wahlkampfspots erweckten den Eindruck, trans Menschen seien allgegenwärtig und eines der grössten Probleme des Landes. Rechtsexpertin Elana Redfield erklärt, warum sich die Republikaner*innen so auf diese kleine Bevölkerungsgruppe der USA einschiessen. «Ihnen geht es nicht um Fakten, sondern darum, eine Gruppe zu finden, die sich schwer wehren kann. Sie machen trans Menschen zum Inbegriff der von ihnen so verachteten Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion DEI.» Die Diffamierungen wirkten im Wahlkampf. Doch ist das Thema der trans Menschen eigentlich nur für wenige wichtig. Die meisten Leute machen sich vielmehr Sorgen um Lebensmittelkosten und um die von Präsident Trump verursachten Schwankungen im Aktienmarkt, die sich unmittelbar auf ihre Renten auswirken.
Trotzdem: Im Vergleich zu 2022 befürworten laut dem Pew Research Institut deutlich mehr erwachsene US-Amerikaner* innen Gesetze, die den Schutz von trans Menschen einschränken. Rund zwei Drittel der Befragten befürworten Gesetze, die trans Frauen in Frauenmannschaften verbieten. Fast die Hälfte möchte, dass trans Personen öffentliche Toiletten benutzen, die ihrem Geburtsgeschlecht entsprechen. 47 Prozent finden, im Grundschulunterricht sollte nicht über Geschlechtsidentität gesprochen werden. Dennoch gehen selbst manchen Trump- Wähler*innen die transfeindlichen Regelungen der Regierung inzwischen zu weit.
Das Video einer Parlamentssitzung im US-Bundesstaat Wisconsin ging im März in den USA viral. Im Gremium, in dem Republikaner*innen die Mehrheit haben, ging es um einen Gesetzesentwurf, der geschlechtsangleichende Behandlungen für trans Jugendliche verbieten sollte. Nach mehr als acht Stunden öffentlicher Anhörung trat der 85 Jahre alte Larry Jones ans Mikrofon. Der Republikaner entschuldigte sich bei der anwesenden LGBTI*-Gemeinschaft und besonders bei den trans Menschen für seine Ignoranz. Er habe bei der Anhörung viel gelernt und sei gegen deren Diskriminierung, sagte er.
Im Bundesstaat Montana, den Donald Trump mit 58 Prozent der Stimmen gewann, stimmte das Repräsentantenhaus im März über einen Gesetzentwurf ab, der trans Kinder gar von ihren Eltern trennen wollte. In der Debatte appellierte die republikanische Abgeordnete Sherry Essmann an ihre Kolleg*innen, trans Menschen nicht zu Karikaturen zu machen und das Parlament nicht mit überflüssigen Diskussionen zu belästigen. «Diese verrückten Gesetzesentwürfe sind die reine Zeitverschwendung», sagte sie. Der Gesetzesentwurf wurde mit deutlicher Mehrheit und mehr als zehn Stimmen aus den Reihen der Republikaner*innen abgelehnt.
In Los Angeles zeigt sich der Trans Choir kampfbereit – ermutigt durch die kleinsten Hoffnungsschimmer, die die amerikanische Politik noch hergibt. Chormitglied Alana Balagot komponierte sogar einen Song: You Cannot Erase Us – ihr könnt uns nicht auslöschen. Es ist eine Hymne für alle von der Trump-Regierung angegriffenen Bevölkerungsgruppen.