Die willkürliche Inhaftierung des Journalisten Mohamed Boughalleb seit März 2024, die allein auf der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte beruht, gibt Anlass zur Sorge. Er war am 22. März 2024 von Sicherheitskräften festgenommen worden. Grundlage war die Anzeige einer leitenden Beamtin des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten, nachdem Mohamed Boughalleb die Ausgaben des Ministeriums öffentlich kritisiert hatte.
Am 26. März 2024 erhob die Staatsanwaltschaft beim Gericht erster Instanz in Tunis Anklage gegen Mohamed Boughalleb, weil er einer Staatsbeamtin eine Straftat vorgeworfen habe, ohne dies beweisen zu können, und weil er «andere beleidigt oder ihr Wohlbefinden über öffentliche Telekommunikationssysteme gestört» haben soll. Grundlagen hierfür sind Paragraf 128 des Strafgesetzbuchs bzw. Paragraf 86 des Telekommunikationsgesetzes. Am 17. April 2024 wurde Mohamed Boughalleb schuldig gesprochen und zu sechs Monaten Haft verurteilt. Am 28. Juni 2024 erhöhte das Berufungsgericht in Tunis die Strafe auf acht Monate. Am 5. April 2024 erhob ein Untersuchungsrichter des Gerichts erster Instanz in Tunis in einem separaten Fall Anklage gegen Mohamed Boughalleb gemäss Paragraf 24 des Gesetzesdekrets 2022-54 über Cyberkriminalität wegen der «Nutzung von Telekommunikationssystemen zur Herstellung, Versendung oder Verbreitung von «Fake News» oder «Gerüchten», um andere zu verletzen, zu verleumden oder zur Gewalt anzustiften», nachdem eine Professorin Anzeige erstattet hatte. Sie behauptete, Mohamed Boughalleb habe sie auf Facebook «beleidigt», Mohamed Boughalleb hingegen erklärte, dass die Kommentare, die sie als «beleidigend» bezeichnete, nicht von seinem Konto aus gemacht wurden. Der Richter ordnete im Zusammenhang mit diesen Vorwürfen seine Untersuchungshaft an.
Der Gesundheitszustand von Mohamed Boughalleb hat sich während seiner ungerechtfertigten Inhaftierung stark verschlechtert. Er leidet an chronischen Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck und hat Probleme mit der Prostata. Sein Diabetes hat sich im Gefängnis verschlimmert und wiederholt zu Infektionen geführt. Auch sein Seh- und sein Hörvermögen sind mittlerweile stark beeinträchtigt. Trotzdem hat er keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung im Gefängnis, denn er erhält weder seine täglich benötigten Medikamente, noch wird er regelmässig ärztlich untersucht. Am 4. November 2024 wurde Mohamed Boughalleb aus seiner Gefängniszelle in eine andere Abteilung des Gefängnisses El Mornaguia verlegt, in der die Bedingungen wegen der Überbelegung noch schlimmer sind.
Mohamed Boughalleb ist ein bekannter tunesischer Journalist. Er hat in Fernseh- und Radiosendungen wiederholt Kritik am Präsidenten und anderen Staatsbediensteten geübt und sie u. a. einer schlechten Regierungsführung und der Korruption bezichtigt. Obwohl er seine ungerechtfertigte achtmonatige Haftstrafe verbüsst hat, ist Mohamed Boughalleb im Zusammenhang mit einem anderen Fall weiterhin willkürlich inhaftiert. Im April 2024 ordnete ein Richter auf der Grundlage von Paragraf 24 des Gesetzesdekrets 2022-54 über Cyberkriminalität unter dem Vorwurf der Verbreitung falscher Nachrichten seine Untersuchungshaft an. Mohamed Boughalleb wird beschuldigt, auf seiner Social-Media-Seite eine Person beleidigt zu haben. Seinen Rechtsbeiständen zufolge war er jedoch weder der Verfasser des fraglichen Beitrags noch der Inhaber der Social-Media-Seite. Am 11. Februar 2025 soll das Kassationsgericht in Tunis entscheiden, ob der Fall vor Gericht verhandelt oder die Anklage gegen ihn fallen gelassen wird. Ihm drohen fünf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 50'000 Dinar (rund 15'000 Euro) gemäss Paragraf 24 des Gesetzesdekrets 2022-54, dem zufolge es strafbar ist, Telekommunikationssysteme zu nutzen, um «gefälschte Nachrichten», «falsche Daten», «Gerüchte» oder «gefälschte, verfälschte oder falsch zugeschriebene Dokumente» zu produzieren, zu versenden oder zu verbreiten, um anderen zu schaden, sie zu diffamieren oder zur Gewalt gegen andere aufzurufen oder um die öffentliche Sicherheit oder die nationale Verteidigung zu untergraben, Angst zu verbreiten oder Hass zu schüren.
Seit Mai 2024 haben die tunesischen Behörden ihr hartes Vorgehen gegen die Medien und das Recht auf freie Meinungsäusserung weiter verschärft. So wurden zwei Journalisten und den Gründer eines Medienkanals zu Haftstrafen verurteilt, eine weitere Medienvertreterin festgenommen und strafrechtlich verfolgt und private Medien einschüchtert. Am 22. Mai 2024 verurteilte das Gericht erster Instanz in Tunis Borhen Bsaies und Mourad Zeghidi, beides bekannte Journalisten, gemäss Paragraf 24 des Gesetzesdekrets 2022-54 über Cyberkriminalität in getrennten Fällen zu einem Jahr Gefängnis. Am nächsten Tag verurteilte dasselbe Gericht den Mediengründer und Tech-Aktivisten Houssem Hajlaoui im Zusammenhang mit seinen Äusserungen im Internet zu einer neunmonatigen Haftstrafe auf Bewährung, nachdem er elf Tage lang inhaftiert war. Am 11. Mai 2024 wurde Sonia Dahmani, eine Anwältin und Medienkommentatorin und Kollegin von Bsaies und Zeghidi in der beliebten täglichen Sendung «Emis-sion Impossible» des privaten Radiosenders IFM, ebenfalls auf der Grundlage des Gesetzesdekrets 2022-54 über Cyberkriminalität festgenommen. Am 6. Juli 2024 verurteilte ein erstinstanzliches Gericht in Tunis Sonia Dahmani wegen eines ironischen Kommentars zur Situation von Migrant*innen in Tunesien in einer Fernsehsendung zu einem Jahr Gefängnis. Im Rechtsmittelverfahren wurde die Haftstrafe auf acht Monate reduziert. Am 24. Oktober 2024 verurteilte dasselbe Gericht sie in einem anderen Fall zu einer zusätzlichen zweijährigen Haftstrafe, weil sie auf rassistische und diskriminierende Praktiken in Tunesien hingewiesen hatte. Alle drei befinden sich nach wie vor willkürlich in Haft.
Seit der Verkündung des Gesetzesdekrets 2022-54 im September 2022 gehen die Behörden verstärkt gegen Personen vor, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäusserung Gebrauch machen. Das Gesetzes-dekret 2022-54 widerspricht internationalen Menschenrechtsverträgen, darunter der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker und dem Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, deren Vertragsstaat Tunesien ist. Sowohl Artikel 9 der Charta als auch Artikel 19 des Pakts garantieren das Recht auf freie Meinungsäusserung. Rechtseinschränkungen, die auf zweideutigen, zu weit gefassten Begriffen wie «Fake News» und anderen repressiven Bestimmungen des Gesetzes über Cyberkriminalität beruhen, genügen nicht den Anforderungen der Rechtmässigkeit, Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit.
Seit seiner Machtergreifung am 25. Juli 2021 beruft sich Präsident Kais Saied auf Notstandsbefugnisse aus der Verfassung von 2014. Seit Februar 2023 hat sich die Menschenrechtslage in Tunesien rapide verschlechtert. Mehrere Oppositionelle, Dissident*innen, vermeintliche Gegner*innen des Präsidenten und Regierungskritiker*innen wurden verstärkt ins Visier genommen und schikaniert. Die Behörden haben mehrfach in grossem Umfang Festnahmen durchgeführt, die sich gegen Oppositionelle und vermeintliche Kritiker*innen von Präsident Kais Saied richteten. Mehr als 70 Personen, darunter Oppositionelle, Rechtsanwält*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen wurden seit Ende 2022 willkürlich verfolgt und/oder willkürlich inhaftiert, weil sie ihre international garantierten Rechte wie die Rechte auf freie Meinungsäusserung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen haben. Das harte Vorgehen gegen Oppositionelle und Kritiker*innen bedroht die Menschenrechte in Tunesien, einschliesslich der Rechte auf freie Meinungsäusserung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit. Diese Rechte sind durch die Artikel 19, 21 und 22 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie durch die Artikel 9, 10 und 11 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker geschützt, zu deren Vertragsstaaten Tunesien gehört.