Amnesty International kritisiert, dass die blosse Äusserung seiner Meinung, die niemandem geschadet hat, zu schweren Anschuldigungen führte, die eine längere Haftstrafe nach sich ziehen und Aleksei Gorinovs Rechte weiter verletzen könnten.
Ausserdem hat sich auch der Gesundheitszustand von Aleksei Gorinov in der Haft beträchtlich verschlechtert. Er wurde wiederholt wegen geringfügiger Verstösse in eine Strafzelle verlegt. Auch wurde ihm eine angemessene medizinische Versorgung verweigert, obwohl er unter Atemproblemen leidet, die durch eine frühere Lungenoperation verschlimmert wurden.
Aleksei Gorinov war die erste Person, die wegen der Verbreitung «falscher Informationen» über die russischen Streitkräfte (Paragraf 207.3 des Strafgesetzbuchs) zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, weil er den «militärischen Sondereinsatz» in der Ukraine als «Krieg» bezeichnet und gesagt hatte, dass dabei Kinder sterben. Am 8. Juli 2022 verurteilte das Bezirksgericht Meschtschanskij den Stadtrat des Moskauer Bezirks Krasnoselskij zu sieben Jahren Gefängnis. Das Urteil gegen Alexej Gorinow beruhte auf Bemerkungen, die er bei einer Ratssitzung am 15. März 2022 über den russischen Angriff gegen die Ukraine gemacht hatte. Er sprach damals über den Tod ukrainischer Kinder aufgrund des Krieges, den die russischen Behörden nach wie vor als «militärischen Sondereinsatz» bezeichnen. Dabei übte er sein Recht auf freie Meinungsäusserung aus.
Während seiner Inhaftierung wurde Aleksei Gorinov wegen angeblicher Verstösse gegen die Gefängnisvorschriften wiederholt in eine Strafzelle verlegt, die als SHIZO bezeichnet wird. In der Haft erkrankte er auch an Atemproblemen, die dadurch verschlimmert werden, dass ihm einige Jahre vor der Inhaftierung ein Teil der Lunge entfernt wurde. Die Gefängnisbehörden verweigerten ihm dennoch eine angemessene medizinische Versorgung und zwangen ihn stattdessen, draussen Schnee zu räumen.
Am 9. Dezember 2023 richteten mehr als 240 Angehörige medizinischer Berufe einen offenen Brief an Präsident Wladimir Putin, in dem sie ihre Besorgnis über den Gesundheitszustand von Aleksei Gorinov zum Ausdruck brachten und forderten, ihm die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Später im Dezember wurde er in ein Gefängniskrankenhaus verlegt und dort mehr als drei Monate festgehalten.
Im April 2024, nachdem er aus dem Gefängniskrankenhaus in eine Strafkolonie in Wladimir zurückgeschickt worden war, berichtete Aleksei Gorinov, dass die Gefängnisbehörden ihn unter Selbstmord- und Selbstverletzungsüberwachung gestellt hatten. In einer Botschaft versicherte Gorinov, dass er «niemals freiwillig sein Leben beenden würde», da er «das Leben als ein Geschenk des Universums» betrachte. Er betonte ausserdem, dass er noch Pläne und wichtige Dinge zu erledigen habe, und beendete seine Botschaft mit den Worten: «Bitte merken Sie sich das, falls mir plötzlich etwas zustossen sollte». Ausserdem hat Aleksei Gorinov sich in einer Beschwerde an das Gericht darüber beklagt, dass das Gefängnispersonal ihn nachts aufweckte und versuchte, ihn unter Druck zu setzen. Nach seiner Verlegung in das Untersuchungsgefängnis in Wladimir Ende April wurde er nachts nicht mehr belästigt.
Am 13. September 2023 leiteten die russischen Behörden ein neues Ermittlungsverfahren gegen Aleksei Gorinov ein. Darin wird er der «Rechtfertigung von Terrorismus» beschuldigt, weil er über einen angeblichen ukrainischen Angriff auf eine Brücke auf der Krim und das Asow-Regiment der ukrainischen Streitkräfte – das in Russland zu einer «terroristischen Organisation» erklärt wurde – gesprochen hat. Die ersten Anhörungen zu dieser Anklage werden voraussichtlich am 19. November 2024 beginnen.
Die im März 2022 eingeführten russischen Kriegszensurgesetze kriminalisieren Kritik an dem russischen Angriff gegen die Ukraine und an mutmasslichen Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte als «Falschdarstellung» und «Diskreditierung» der russischen Streitkräfte (Paragrafen 207.3 und 280.3 des Strafgesetzbuchs), worauf eine Höchststrafe von 15 Jahren Haft steht. Im Oktober 2024 teilte Amnesty International den russischen Behörden mit, dass die Organisation weltweit 330'000 Unterschriften gesammelt hat, mit denen sie die russischen Behörden auffordert, ihre Kriegszensurgesetze aufzuheben und alle Personen freizulassen, die nur wegen ihrer Kritik am Krieg in der Ukraine inhaftiert sind.
Im Februar 2024 dokumentierte Amnesty International die beunruhigende Eskalation des Missbrauchs vager Anti-Terrorismus- und Anti-Extremismus-Gesetze in Russland seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Hunderte Personen wurden unter dem Vorwurf der «Rechtfertigung von Terrorismus» verurteilt, weil sie lediglich über bestimmte Handlungen oder Organisationen, die von den russischen Behörden willkürlich als «terroristisch» eingestuft wurden, gesprochen oder ihre Sympathie dafür bekundet hatten. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine reichten Sympathiebekundungen für die Ukraine – wie etwa Freude über militärische Erfolge oder Unterstützung der aus russischen Freiwilligen bestehenden ukrainischen Militäreinheiten – aus, um unter diesem Vorwurf strafrechtlich verfolgt zu werden. Amnesty International fordert Russland auf, seine Anti-Terrorismus- und Anti-Extremismus-Gesetze zu überprüfen, sie mit den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Russlands in Einklang zu bringen und sicherzustellen, dass sie nicht dazu verwendet werden können, friedlichen Dissens zu kriminalisieren und zu verfolgen oder anderweitig die Rechte auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung sowie andere Menschenrechte zu verletzen. Ausserdem fordert Amnesty die russischen Behörden auf, alle Personen, die aufgrund unbegründeter Anklagen im Zusammenhang mit Terrorismus und Extremismus verurteilt wurden oder strafrechtlich verfolgt werden, unverzüglich freizusprechen und die Anklagen gegen sie fallen zu lassen, sofern sie nicht wegen einer international anerkannten Straftat angeklagt sind.