Das harte Vorgehen gegen unabhängige Medien in Aserbaidschan verschärft sich weiter. Vor der anstehenden Welt-klimakonferenz (COP29) sind mehr als ein Dutzend Journalist*innen weiter unter konstruierten Anklagen willkürlich inhaftiert.
Dazu gehören sechs Journalist*innen des investigativen Nachrichtenportals AbzasMedia: der Direktor Ulvi Hasanli, sein Stellvertreter Mahammad Kekelov, die Chefredakteurin Sevinj Vagifgyzy, die Journalistinnen Elnara Gasimova und Nargiz Absalamova sowie der investigative Journalist Hafiz Babali. Sie wurden zwischen November 2023 und Januar 2024 willkürlich festgenommen und des Schmuggels von Fördergeldern im Rahmen einer Verschwörung beschuldigt. Im August 2024 erhob die Staatsanwaltschaft weitere falsche Anschuldigungen gegen sie: illegales Unternehmertum, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Gleichzeitig veröffentlichte AbzasMedia weiterhin kritische Beiträge. Im September 2024 verlängerte ein Gericht in Baku die Untersuchungshaft der sechs Journalist*innen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen nun zwischen acht und zwölf Jahren Haft. Mit diesem Vorgehen sollen ihre kritischen Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Alle sechs weisen die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück.
Am 24. Juli 20204 berichtete Ulvi Hasanli, dass er Drohungen von der Gefängnisverwaltung erhalten habe, nachdem er in einem Brief aus dem Gefängnis, der veröffentlicht wurde, geschildert hatte, dass «Gefangene gekreuzigt, geschlagen und in den Gängen an Stangen aufgehängt werden». Sie seien auch anderen Formen von Folter und Misshandlung ausgesetzt. Das Schreiben kam kurz nachdem der Europäische Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe am 3. Juli 2024 eine Erklärung veröffentlicht hatte, in der er seine extreme Besorgnis über Folter und andere Miss-handlungen durch die Polizei zum Ausdruck brachte. Ausserdem reichte sein Rechtsbeistand Beschwerde ein, da Ulvi Hasanli bei seiner Festnahme im November 2023 auf Kopf und Auge geschlagen worden war. Nach Angaben seiner Familie schlugen ihn auch Vollzugsbeamte, als sie ihn im September zu einer Gerichtsverhandlung brachten. Das hatte die Chefredakteurin Sevinj Vagifgyzy beobachtet. Der Journalist Hafiz Babali benötigt einen chirurgischen Eingriff und eine Behandlung, die er im Gefängnis nicht er-hält.
Auch bei weiteren inhaftierten Journalist*innen anderer unabhängiger Medien wie Toplum TV und Kanal 13 wurde die Untersuchungshaft willkürlich verlängert. Mehrere von ihnen haben gesundheitliche Probleme und erhalten nicht die erforderliche medizinische Versorgung, was an sich schon eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sein kann.
AbzasMedia hatte über mutmassliche korrupte Geschäfte von Unternehmen in Verbindung mit Regierungsbeamt*innen berichtet. Ausserdem berichtete das Nachrichtenportal zum Thema Umweltverschmutzung. So ging es in einem Beitrag um gefährliche Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit der Goldmine Gedabek in der Nähe des Bezirks Soyudluin Gabaday in West-Aserbaidschan. Vor den Festnahmen soll Abzas Media weitere Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen und zur Umweltverschmutzung im Zusammenhang mit der Goldmine geplant haben.
Die sechs Mitarbeiter*innen der investigativen Nachrichtenagentur AbzasMedia sind nicht die einzigen, die unter falschen Anschuldigungen als Vergeltung für ihre Arbeit strafrechtlich verfolgt und inhaftiert werden. Der unabhängige Journalist Imran Aliyev, der beschuldigt wird, mit AbzasMedia zusammenzuarbeiten, wurde ebenfalls festgenommen und befindet sich in Untersuchungshaft. Zwischen November und Dezember 2023 verhängte ein Gericht in Baku Untersuchungshaft gegen Aziz Orujov, den Direktor des Online-Nachrichtensenders Kanal 13, und seinen Moderator Shamo Eminov. Ihnen wird ebenfalls der Schmuggel von Fördergeldern vorgeworfen. Mindestens drei weitere Journalist*innen, die über Korruption und Menschenrechtsfragen in Aserbaidschan berichten, wurden unter fragwürdigen Anschuldigungen festgenommen. Zu ihnen gehört auch Teymur Karimov, Journalist und Direktor des Online-Nachrichtenkanals Kanal-11. Am 6. März 2024 durchsuchte die Polizei die Räumlichkeiten eines der letzten verbliebenen unabhängigen Nachrichtenkanäle, Toplum TV, von dessen Partnerorganisation, dem Institut für demokrati-sche Initiativen (IDI), sowie der Oppositionsgruppe Third Republic Platform, und nahm mehr als ein Dutzend Journalist*innen und Aktivist*innen fest. Zu den Festgenommenen gehören der Gründer von Toplum TV, Alasgar Mammadli, und der Journalist Mushfiq Jabbar, ausserdem das Vorstandsmitglied von Third Republic Platform, Ruslan Izzatli, der IDI-Gründer Akif Gurbanov sowie die IDI-Aktivisten Ramil Babayev und Ali Zeynalov.
In den vergangenen Jahren hat Aserbaidschan restriktive Gesetzesänderungen zur Regulierung der Arbeit von Medien und Nichtregierungsorganisationen verabschiedet, um den Boden für rechtliche Schritte und Strafverfolgung zu bereiten. Mit dem im Jahr 2022 verabschiedeten neuen Mediengesetz wurden willkürliche Hürden für die Registrierung und Finanzierung von Medienorganisationen geschaffen. Den meisten kritischen Medien und Journalist*innen wird die Registrierung aus willkürlichen Gründen verweigert. Dadurch sind sie gezwungen, ihre Tätigkeit einzustellen oder sich der Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, weil sie ihre Arbeit fortsetzen oder Fördergelder aus dem Ausland entgegennehmen.
Vom 11. bis 22. November 2024 ist Aserbaidschan Gastgeber der 29. Konferenz der Vertragsparteien des Rahmenüber-einkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (COP29). Seit dies bekannt wurde, schränken die Behörden die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit immer drastischer ein. Mehrere prominente Regierungs-kritiker*innen wurden unter politisch motivierten Anschuldigungen inhaftiert oder ins Exil gezwungen - ein erschütterndes Echo früherer, von Amnesty International dokumentierter Repressionsmassnahmen im Zusammenhang mit anderen internationalen Grossveranstaltungen in Aserbaidschan.