Essam Ahmed, einem ägyptischen Fischer, droht unmittelbar die Hinrichtung, sollte sein Todesurteil nicht aufgehoben werden. Die saudischen Behörden nahmen Essam Ahmed im Dezember 2021 fest. Er befand sich irgendwo im Meer zwischen Saudi-Arabien und Ägypten. Nach seinen Angaben wurde er von einem bewaffneten Mann gezwungen, ein Paket aus Ägypten über das Meer zu transportieren. Er habe das Paket im Wasser fallen lassen und sei von saudischen Grenzwachen aufgegriffen worden, als er sich noch in ägyptischem Gewässer befand.
Aus Amnesty International vorliegenden Gerichtsdokumenten geht hervor, dass Essam Ahmed wegen des Drogenhandels mit rund 300'000 Amphetaminpillen, 270 Gramm Opium, 189 Gramm Heroin sowie des Konsums von verbotenen Pillen und Haschisch angeklagt wurde. Er wurde nach Paragraf 37 des Gesetzes zur Kontrolle von Drogen und psychotropischen Substanzen schuldig gesprochen und verurteilt. Das Gericht verurteilte ihn zum Tode, obwohl es sich um ein sogenanntes Ta‘zir-Verbrechen handelt, bei dem die Todesstrafe nicht obligatorisch ist. Die Verhängung von Todesurteilen für Drogendelikte verstösst gegen das Völkerrecht und internationale Standards.
Wie Essam Ahmed angab, wurde er nach seiner Festnahme in eine Haftanstalt an der saudischen Küste gebracht und drei Tage lang geschlagen. Schliesslich unterzeichnete er ein «Geständnis», dass er Drogen transportiert habe und in saudischen Gewässern festgenommen wurde. Das Gerichtsverfahren von Essam Ahmed war grob unfair. Er erzählte vor Gericht, dass er in Ägypten unter Androhung von Waffengewalt gezwungen wurde, das Paket mitzunehmen. Seine Angaben wurden jedoch weder in die Gerichtsdokumente aufgenommen, noch während des Rechtsmittelverfahrens aufgegriffen. Nach Angaben seiner Familie hatte er weder während seiner Festnahme noch während der Ermittlungen einen Rechtsbeistand. Die Verhängung der Todesstrafe nach einem unfairen Gerichtsverfahren kommt Willkür gleich.
Aus Amnesty International vorliegenden Gerichtsdokumenten geht hervor, dass Essam Ahmed nicht vorbestraft und zum Zeitpunkt seiner Festnahme 25 Jahre alt war. Nach Angaben seiner Familie hatte er weder während seiner Festnahme noch während der Ermittlungen einen Rechtsbeistand. Zu Beginn seines Verfahrens wurde ihm ein Rechtsbeistand zur Seite gestellt, aber es war schwierig, Antworten von diesem Rechtsbeistand zu erhalten, und auch die Anklagepunkte teilte er der Familie von Essam Ahmed nicht umgehend mit, noch gab er dessen Gerichtsunterlagen zügig weiter. Wie die Familie mitteilte, hat der vom Gericht bestellte Rechtsbeistand sie nicht informiert, dass die Möglichkeit einer Begnadigung bestand, dass das Rechtsmittel innerhalb eines Monats eingereicht werden muss und dass der Oberste Gerichtshof seine Entscheidung nach vier Monaten treffen würde.
Während des Rechtsmittelverfahrens von Essam Ahmed beauftragte seine Familie zu hohen Kosten einen eigenen Rechtsbeistand. Nach Amnesty International vorliegenden Gerichtsdokumenten teilte dieser Anwalt dem Gericht mit, sein Klient sei das «Opfer von Drogenhändlern, die seine Jugend, seine Armut und seine finanzielle Bedürftigkeit ausnutzten». Der Verweis des Anwalts auf Ausnutzung wurde auch während des Rechtsmittelverfahrens nicht vom Gericht angesprochen.
Der Bericht von Essam Ahmed weist mehrere Elemente auf, die von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Bezug auf Menschenhandel genannt werden: So gab Essam Ahmed an, dass er unter Vortäuschung falscher Tatsachen rekrutiert, ohne sein Wissen oder seine in Kenntnis der Sachlage gegebene Zustimmung über Seegrenzen geschafft wurde, um verbotene Drogen zu transportieren, und dass er unter Drohungen gezwungen wurde, sich in Gefahr zu begeben (und über eine Seegrenze zu schwimmen).
Nach Angaben der offiziellen Presseagentur hat Saudi-Arabien zwischen Januar 2014 und Juni 2025 1'816 Menschen hinrichten lassen. Fast jeder Dritte von ihnen wurden wegen Drogendelikten hingerichtet. Von den 597 Personen, die in dem zehnjährigen Zeitraum wegen Drogendelikten hingerichtet wurde, waren fast drei Viertel (75 Prozent) ausländische Staatsangehörige. Im Jahr 2024 hat Saudi-Arabien mindestens 345 Hinrichtungen vollstreckt. Diese Zahl stellt die höchste Anzahl von Hinrichtungen dar, die Amnesty International in den letzten dreissig Jahren in Saudi-Arabien dokumentiert hat.
Internationale Menschenrechtsverträge und -standards schliessen Drogendelikte aus dem zulässigen Anwendungsbereich der Todesstrafe aus. Amnesty International lehnt die Todesstrafe uneingeschränkt in allen Fällen und ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld oder anderer Eigenschaften der Person oder der Hinrichtungsmethode. Die Organisation betont seit langem, dass die Todesstrafe das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.
In den letzten fünf Jahren haben die saudischen Behörden wiederholt eine Reform des Einsatzes der Todesstrafe angekündigt. So sollten u. a. die Hinrichtungen bei Drogendelikten eingeschränkt werden. Die saudischen Behörden haben Refombeschlüsse entweder rückgängig gemacht oder die Reformen nicht im Einklang mit internationalen Standards durchgeführt. Im Januar 2021 verkündete die saudi-arabische Menschenrechtskommission SHRC als Teil des umfassenden Pakets von Kronprinz Mohammed bin Salman zur Reform der Strafjustiz ein Moratorium für Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogen. Dieses war von Februar 2020 bis November 2022 für 33 Monate wirksam. Im November 2022 wurde das Moratorium plötzlich aufgehoben, woraufhin die Zahl der Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogen noch im selben Monat anstieg.