Die willkürliche Inhaftierung mehrerer Aktivist*innen in ganz Belutschistan gibt Anlass zu grosser Sorge. Seit der Annektierung Belutschistans durch Pakistan kämpfen Belutsch*innen, die auch in Teilen Afghanistans und Irans leben, gegen staatliche Unterdrückung und für Selbstbestimmung. Um den Jahrestag der Annektierung herum wurden dieses Jahr führende Aktivist*innen der belutschischen Bewegung willkürlich festgenommen. Unter ihnen sind Mahrang Baloch, Bebarg Zehri, Beebow Baloch, Shah Jee Sibghat Ullah, Ghaffar Qambarani und Gulzadi Baloch. Auch gegen Familienangehörige gehen die Behörden vor. Sie alle werden allein wegen ihres Engagements verfolgt. Ihre willkürliche Inhaftierung verstösst sowohl gegen internationale als auch Gesetze der Provinz Belutschistans sowie gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Pakistans, insbesondere gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung und friedliche Versammlung.
Die Behörden nutzen Gesetze wie die Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Maintenance of Public Order Ordinance, MPO) und das Antiterrorgesetz dazu, die willkürliche Inhaftierung der Aktivist*innen immer weiter zu verlängern, was einen Verstoss gegen ihr Recht auf Freiheit und ein ordnungsgemässes Verfahren darstellt. Die fortgesetzte Inhaftierung der Aktivist*innen sogar über den nach der MPO zulässigen Zeitraum von 90 Tagen hinaus verstösst auch gegen weitere lokale Gesetze Pakistans. Ausserdem besteht grosse Sorge um die Sicherheit und das Wohlergehen der Inhaftierten. Zum einen verweigern ihnen die Gefängnisbehörden regelmässig den Zugang zu Familienangehörigen und Rechtsbeiständen, zum anderen bekommen sie keine angemessene Gesundheitsversorgung. Während ihrer willkürlichen Inhaftierung sind sie ständig der Gefahr von Folter ausgesetzt.
Die aktuellen Festnahmen sind Teil einer umfassenderen Missachtung der Menschenrechte in Belutschistan durch die Unterdrückung friedlicher Versammlungen, Verschwindenlassen und aussergerichtliche Hinrichtungen.
Die Haftanordnung gegen alle oben genannten sechs Aktivist*innen gemäss der Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung von 1960 (Maintenance of Public Order Ordinance, MPO) lief am 22. Juni 2025 aus. Damit hätten sie eigentlich freigelassen werden müssen. Am 12. Juni wurde beim Obersten Gerichtshof eine Klage gegen die Anwendung der MPO und die Fortsetzung der Inhaftierung eingereicht. Die sechs Aktivist*innen wurden schliesslich am 8. Juli einem Antiterrorgericht vorgeführt, nur wenige Stunden vor der geplanten Sitzung eines Justizausschusses, der die Rechtmässigkeit ihrer Inhaftierung überprüfen sollte. Das Gericht gewährte den Strafverfolgungsbehörden 10 Tage Untersuchungshaft für die Aktivist*innen in Fällen, in denen es um Straftaten nach dem Antiterrorgesetz von 1997 und nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch geht. Das Provinzparlament von Belutschistan verabschiedete im Juni 2025 jedoch das Antiterrorgesetz 2025 (die sogenannte Belutschistan-Änderung), das eine Inhaftierung ohne Anklage bis zu drei Monaten ermöglicht.
Am 20. März 2025 wurden das führende Mitglied Baloch Yakjehti Committee (BYC), Bebarg Zehri, und sein Bruder Hammal Zehri von Beamt*innen der Abteilung für Terrorismusbekämpfung (Counter Terrorism Department, CTD) aus ihrem Haus in Quetta, der Hauptstadt von Belutschistan, abgeführt. Die breite zivile Widerstandsbewegung BYC wird hauptsächlich von Frauen, von Studierenden und den Familien von Verschwundenen angeführt. Sie organisieren friedliche Protestmärsche, Sit-ins und Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung. Der Aufenthaltsort der beiden war zunächst unbekannt, später stellte sich jedoch heraus, dass sie sich im Gewahrsam der Strafverfolgungsbehörden befanden. Bebarg Zehri lebt in der Folge einer Granatenexplosion 2010 heute mit einer Behinderung. Seine Familie macht sich grosse Sorgen um seinen Gesundheitszustand.
Am 22. März wurden Mahrang Baloch und Beebow Baloch während eines friedlichen Protests in Quetta festgenommen; einen Tag nachdem drei Demonstrierende von Beamt*innen der Strafverfolgungsbehörden getötet worden waren. Grundlage ihrer Festnahme bildete Abschnitt 3 der MPO, der eine «präventive» Inhaftierung erlaubt. Mahrang Baloch erlitt während ihrer Zeit im Hudda-Gefängnis in Quetta eine Lebensmittelvergiftung, doch trotz mehrfacher Aufforderung wurde ihr kein Zugang zu einer*m Spezialist*in gewährt. Beebow Baloch wurde am 2. Mai kurzzeitig ins CMH-Krankenhaus verlegt; ihre Familie gibt an, dass sie körperlich gefoltert wurde.
Am 24. März wurden mindestens sechs Aktivist*innen festgenommen, weil sie ein allgemeines Versammlungsverbot in der Stadt Karachi in der Provinz Sindh missachtet und friedlich für die Freilassung von belutschischen Aktivist*innen protestiert hatten. Ausserdem wurde der BYC-Aktivist Shah Jee Sibghat Ullah am 30. März von CTD-Beamt*innen in seiner Wohnung in Quetta festgenommen. Auch seine Festnahme wurde mit Abschnitt 3 der MPO begründet. Eine weitere BYC-Aktivistin, Gulzadi Baloch, wurde am 7. April in Quetta von Polizei- und CTD-Beamt*innen festgenommen.
Am 5. April 2025 führte die CTD eine Razzia in der Wohnung der BYC-Aktivistin Beebow Baloch im Stadtteil Kelli Qambarani von Quetta durch und nahm ihren Vater Ghaffar Qambarani fest. Ghaffar Qambarani ist ein bekannter Aktivist, der schon früher dem Verschwindenlassen zum Opfer fiel. Sein Name steht auf einer Liste von Personen, die unter dem Antiterrorgesetz als «verbotene Personen» eingestuft werden und deren Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Beebow Balochs Name wurde auch auf die Ausreisekontrollliste, die Passkontrollliste und die Provinzkontrollliste gesetzt, um ihr Recht auf Freizügigkeit und Protest weiter einzuschränken. Ghaffar Qambarani wurde wie seine Tochter gemäss Abschnitt 3 der MPO festgenommen.
Die Festnahmen sind Teil eines umfassenden Vorgehens gegen friedliche Proteste in der Provinz und richten sich gegen das Recht auf freie Meinungsäusserung. Zuletzt wurden am 5. Juli fünf Aktivist*innen willkürlich festgenommen, nachdem die Behörden unnötige Gewalt gegen Demonstrierende eingesetzt hatten, die friedlich Gerechtigkeit für die vermutete aussergerichtliche Hinrichtung des 21-jährigen Zeeshan Zaheer forderten. Die Demonstrierenden, darunter vier Frauen, wurden auch gemäss der MPO festgenommen. Auch Aktivist*innen, Anwält*innen und Journalist*innen, die sich gegen dieses harte Vorgehen aussprechen, werden zur Zielscheibe. Am 6. Juli wurde der belutschische Menschenrechtsverteidiger Gulzar Dost, Vorsitzender der Organisation Kech Civil Society, von CTD-Beamt*innen aus seiner Wohnung entführt. Im April wurde gegen die Aktivistin und Anwältin Jalila Haider ein Strafverfahren nach dem Gesetz zur Verhinderung von Digitalverbrechen von 2016 (Prevention of Electronic Crimes Act) eingeleitet, weil sie online ihre Unterstützung für Mahrang Baloch zum Ausdruck gebracht hatte.
Journalist*innen, Menschenrechtler*innen, Andersdenkende sowie Angehörige von Minderheiten, insbesondere aus der Region Belutschistan und der Provinz Chaibar Pachtunchwa, laufen in Pakistan Gefahr, Opfer des Verschwindenlassens zu werden. Die zivilgesellschaftliche Organisation Defence of Human Rights (DHR) verzeichnete allein im Jahr 2024 insgesamt 2.332 Fälle von Verschwindenlassen. Familienmitglieder, die fordern, dass das Schicksal ihrer «verschwundenen» Angehörigen aufgeklärt wird, werden regelmässig von den Behörden schikaniert, überwacht und eingeschüchtert. Amnesty International hat den Einsatz von Gewalt, Einschüchterung, Schikane, Überwachung und Gesetzen, die abweichende Meinungen kriminalisieren, gegen die Familien von Verschwundenen und/oder belutschischen Aktivist*innen sowohl in der Provinz als auch in ganz Pakistan ausführlich dokumentiert.