In Venezuela befinden sich Hunderte Menschen aus politischen Gründen willkürlich in Haft, darunter auch Angehörige der Opposition. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge greifen die Behörden auf die Praxis des Verschwinden-lassens zurück, um inhaftierte Menschen dem Schutz des Gesetzes zu entziehen und sie zu foltern oder anderweitig zu misshandeln. Dies betrifft in einigen Fällen auch Familienangehörige der Inhaftierten. Selbst wenn Familien etwas über den Verbleib ihrer inhaftierten Angehörigen herausfinden können, befinden sich diese häufig ohne Kontakt zur Aussenwelt in Haft. Die Angehörigen von Pedro Guanipa, Perkins Rocha, Rafael Ramírez, Américo de Grazia, Biagio Pilieri, Freddy Superlano, Luis Somaza, Alfredo Díaz, Luis Palocz, Ricardo Estevez, Jesús Armas, María Oropeza, Nélida Sánchez, Roland Carreño, Williams Dávila und Edwin Moya hatten tage- oder wochenlang keine Informationen über ihren Aufenthaltsort. In einigen Fällen wissen die Angehörigen bis heute nicht, ob sich ihr Familienmitglied tatsächlich in der von den Behörden angegebenen Haftanstalt befindet, und sind oft nur über inoffizielle Quellen in der Lage, etwas über deren Verbleib in Erfahrung zu bringen.
In Venezuela herrscht seit mehr als zehn Jahren eine komplexe humanitäre und menschenrechtliche Krise. Amnesty International kritisiert seither die damit einhergehenden schweren Menschenrechtsverletzungen, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Krise hat dazu geführt, dass inzwischen mehr als 25% der Gesamtbevölkerung das Land verlassen haben, um im Ausland Schutz zu suchen. Seit den Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli 2024 geht die Regierung von Präsident Maduro besonders schonungslos gegen kritische Stimmen und vermeintlich Andersdenkende vor. Menschen werden weiterhin nach demselben Muster verfolgt und unterdrückt wie in den vergangenen zehn Jahren.
Internationale Menschenrechtsnormen verbieten Verschwindenlassen sowie Folter und andere Misshandlungen. Die Opfer dieser Verbrechen haben gemäss dem Völkerrecht das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Zudem muss ihnen garantiert werden, dass sich diese Verbrechen nicht wiederholen werden.
Seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli 2024 sind in Venezuela mehr als 2’000 Protestierende, politische Gegner*innen, Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Unbeteiligte willkürlich in Haft genommen worden, zuzüglich zu den mindestens 300 Menschen, die sich bereits vor den Wahlen im Gewahrsam befanden. So gut wie alle von ihnen wurden willkürlich strafverfolgt, indem ihnen «Terrorismus» und die Anstiftung zum Hass vorgeworfen wurden. Viele dieser Menschen hatten nichts weiter getan, als politisch abweichende Meinungen zu äussern. Auch Kinder und Jugendliche sowie Menschen mit Behinderungen fielen diesen Menschenrechtsverletzungen zum Opfer, und viele von ihnen waren zusätzlich Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt. Am 10. April 2025 befanden sich nach Angaben der venezolanischen NGO Foro Penal 896 Personen aus politischen Gründen willkürlich in Haft, und der Aufenthaltsort von 62 Menschen war unbekannt.
Die venezolanische Regierung fährt eine harte Unterdrückungslinie gegen zivilgesellschaftliche Organisationen und Aktivist*innen, indem sie sie einschüchtert, kriminalisiert und zensiert. Darüber hinaus agiert die Zivilgesellschaft in einem Umfeld, in dem Grundrechte wie die Rechte auf Gesundheit, Bildung und Zugang zu Nahrungsmitteln nicht gegeben sind. Dies hat dazu geführt, dass Venezolaner*innen das Land in Scharen verlassen, um anderswo Schutz zu suchen. Bis Dezember 2024 waren 7,9 Mio. Menschen aus Venezuela geflohen.
Seit 2020 hat die unabhängige internationale Ermittlungsmission für die Bolivarische Republik Venezuela Hunderte Fälle von aussergerichtlichen Hinrichtungen, willkürlichen Inhaftierungen und Folter oder Misshandlungen dokumentiert, die seit 2014 in Venezuela begangen worden waren. Die Ermittlungsmission hat zudem dokumentiert, wie die Regierung das Justizsystem instrumentalisiert, um Menschen zu unterdrücken, und ist zu dem Schluss gekommen, dass einige der völkerrechtlichen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu betrachten sind. In einem 2024 veröffentlichten Bericht weist die Ermittlungsmission darauf hin, dass berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verbrechen der Verfolgung aus politischen Gründen begangen wurde. Seit November 2021 führt die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zu der Lage in Venezuela durch und konzentriert sich dabei insbesondere auf von den Sicherheitskräften, zivilen Behörden und regierungstreuen Gruppen (Colectivos) begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie «Inhaftierung und andere schwere Formen des Entzugs der körperlichen Freiheit; Folter; Vergewaltigung und andere Formen der sexualisierten Gewalt [sowie] Verfolgung aus politischen Gründen».